Akropolis adieu!

Dem Klischee nach ernähren wir uns im Ruhrgebiet ja fast ausschließlich von Currywurstpommesmayo. Das gehört praktisch zu unserer kulturellen Identität.

Bei mir fing es damit an, dass bei uns gegenüber die Bäckerei Schmidtmeier dichtmachte und der »Akropolis Grill« einzog. Mein Vater stand Neuerungen eher skeptisch gegenüber: »Watt solln wir mit dem scheiß Sirtaki-Fraß!« Meine Mutter aber war kulinarisch etwas aufgeschlossener, drückte meinem Vater eines Abends zwanzig Mark in die Hand und sagte: »Mann, geh hinaus ins feindliche Leben, jagen und sammeln!« Mein Vater überquerte die Straße und kam lange nicht zurück.

Eine halbe Stunde verging, eine ganze, anderthalb Stunden. Nach mehr als zwei Stunden tauchte er wieder auf - voll wie ein Eimer. Und bekehrt: »Die sind voll in Ordnung, da drüben!«, meinte er mit schwerer Zunge. »Kaum war ich drin, hatte ich sonn Pinnchen mit Lakritz-Wasser vor mir stehen!«

»Und was ist mit dem Essen?«, wollte meine Mutter wissen.

»Naja, nur das erste Pinnchen war umsonst!«

Jahre später hat eine andere Pommesbude ganz in der Nähe vor allem mein Bild vom Pommes-Personal geprägt. Wenn man jemandem etwas abkauft, hat man doch gerne das Gefühl, der Verkäufer, die Verkäuferin vertraut diesem Produkt auch privat. Ein Mercedes-Händler, der privat Opel fährt - das weckt Misstrauen. Steht man vor einem spillerigen Männeken von knapp eins fünfzig, ist man geneigt zu sagen: Bei dir kaufe ich Drogen, aber keine Pommes!

Sehr viel mehr Vertrauen erweckte die Servicekraft von Hölschers Imbiss an der Bochumer Gussstahlstraße, gleich »anne Gurke«, dem Rotlichtbezirk. Wie schon erwähnt, bewohnte ich ab dem achtzehnten Lebensjahr ein winziges Appartement im gleichen Haus wie meine elterliche Wohnung, und diese Freiheit nutzte ich, um, zunächst nur an den Wochenenden, dann auch an den Tagen dazwischen, streng wissenschaftliche Versuchsreihen anzustellen. Ich testete die Auswirkungen diverser alkoholischer Getränke auf den männlichen Körper. Dummerweise vergaß ich ständig die Ergebnisse und musste wieder von vorn anfangen. Eines aber wurde deutlich: Befindet sich der männliche Körper in einem Zustand alkoholischer Zuspitzung, also jenseits von 1,5 Promille, morgens gegen vier, halb fünf, tut er nicht das Gesündeste und geht an Ort und Stelle für sechzehn Stunden in den Ruhezustand über, sondern im seinem Gehirn meldet sich eine Stimme, die ihm suggestiv einhämmert: »Du brauchst noch ne Currywurst! Du brauchst noch ne Currywurst! Du brauchst noch ne Currywurst!« Und eine Currywurst gab es damals, morgens um vier, halb fünf nur noch bei Hölschers Imbiss anne Gurke.

Und hier stand sie, die Pommesfrau schlechthin: Über einsachtzig groß, mit Schultern wie ein Gewichtheber, hineingezwängt in einen ehemals weißen, von verblichenen Saucenflecken übersäten Haushaltskittel ohne Ärmel, damit man die Muskeln im Unterarm arbeiten sah, wenn sie die Bratwurst mit der Papierschere zerschnitt, um sie zur Currywurst werden zu lassen. Übrigens: Nur wenn die Wurst wirklich »händisch« mit der Papierschere zerteilt wird, hat man die Gewähr, dass immer zwei bis drei Teile aneinanderhängen. Der Kenner weiß: Eine gute Currywurst muss man essen wie Matjes: Kopp in den Nacken und dann von oben langsam herunterlassen!

Im Hintergrund bei Hölschers Imbiss hockte meist ein alter Mann mit einer Ledermütze (der alte Hölscher?) und schnitzte - wahrscheinlich die Pommes.

Unvergesslich auch eine in der Brüderstraße gelegene Lokalität, die »Restaurant« zu nennen ich mich trotz allem nicht scheue. Die seit den Siebzigern unveränderte Außenwerbung wäre eine Zierde für jedes Designmuseum. In zeittypisch gerundeten roten Lettern auf orangefarbenen Grund (heute wieder voll State of the Art) stand dort lange Jahre der Name, der dem wahren Gourmet noch immer den Gaumen feuchtet: Rösti!

Wer seinen Gaumen verwöhnen will, der bestellt hier was? Genau: Schaschlik! Als ich mein erstes Rösti-Schaschlik bestellte, fragte ich mich, wo das denn gelagert würde, schließlich lagen die platt gehauenen, panierten Schweineschnitzel deutlich sichtbar in der Auslage neben den vor sich hin welkenden Salaten. Der freundliche Herr in dem sympathisch knappen T-Shirt ging zu einem der Saucenbottiche und fischte einen wahren Marterpfahl mit kinderkopfgroßen Fleischstücken heraus und knallte mir den beherzt auf den Teller. Fast wollte man damit zum Tierarzt gehen und fragen, ob da noch was zu machen sei. (Leider ist der langjährige Betreiber dieser Bochumer Institution mittlerweile verstorben und das Etablissement selbst schwer modernisiert worden.)

In den acht Jahren, die ich an der Castroper Straße direkt gegenüber vom Planetarium wohnte, war es wieder ein »Akropolis Grill«, und hier traf ich den großen Fritteusen-Melancholiker, einen für diesen Job ungewöhnlich hageren Griechen, der dann und wann sogar in seiner Pommesbude übernachten musste, wenn er Knies mit seiner Frau hatte, die genug vom miesen deutschen Wetter hatte und sich nach dem blauen Himmel über Heraklion zurücksehnte.

Eines Nachts suchte ich mal wieder das verdammte Schlüsselloch meiner Haustür, das immer mal wieder entwendet wurde, als der hagere Grieche, ebenfalls jenseits der Fahrtüchtigkeit, die Straße heraufgewankt kam und mich zu einem Schlummertrunk in sein Unternehmen einlud. Da saßen wir dann unter dem ausgeschalteten Spielautomaten und tranken aus einer Mineralwasser-Flasche der Marke »Brohler« griechischen Selbstgebrannten, der einen verhängnisvollen Angriff auf meine Mundschleimhäute ritt, aber, dachte ich, man kann ja diesen Naturvölkern nichts abschlagen. Die ganze Zeit ging mir dieser alte Slogan im Kopf herum: Trink Brohler, dann wird's dir wohler! Ich konnte das nicht bestätigen.

Im nüchternen Zustand konnte es geschehen, dass der hagere Grieche an der Fritteuse stand, die Pommes im siedenden Fett schüttelte und murmelte: »Immer nur Kalorien, Kalorien, Kalorien!« Nicht gerade verkaufsfördernd.

Heute lebe ich natürlich viel gesünder. Manchmal aber muss es sein: Currywurstpommesmayo, ganz schnell und im Stehen. Gehört schließlich zur kulturellen Identität.

 

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